Uerdingen wird abgewrackt.

Der Spiegel schreibt in seiner Ausgabe 23/2010 in einem Artikel über "Das schnellste Fahrzeug Deutschlands":
"Gebaut wird es in Krefeld-Uerdingen. Deutschland sieht kaputt aus, wo Siemens seinen ICE herstellt: Verlassene, mit Brettern zugenagelte Trinkhallen, Fabrikruinen und tote Schlote bilden insofern eine passende Kulisse, als auch der Zug in der Vergangenheit oft ein desolates Bild abgab."

Das weithin sichtbare Bayer-Kreuz – es stand als leuchtende Krone seit 1963 über Uerdingen – genauer gesagt, über dem Gelände der Bayer AG in Uerdingen.
Nachdem die Stadt schon lange ihr Flair verloren hat und es die Bayer AG in Uerdingen nicht mehr gibt, wird jetzt, in der 46. KW 2016, nach 53 Jahren das Bayer-Kreuz demontiert – für viele neben der Rheinbrücke das Wahrzeichen von Uerdingen. Uerdingen wird abgewrackt.

Uerdingen wird abgewrackt – Demontage des Bayer-Kreuzes

Das Ende des Uerdinger Bayer-Kreuzes

Vielleicht hilft es, den Blick nicht mehr auf diese leuchtende Krone richten zu können und statt dessen zu sehen, wie es inzwischen darunter seit langem schon aussieht.
„Leerstände prägen das Gesamtbild“, sagte der Vorsitzende des Kaufmannsbundes schon 2013. Leerstand und Schmutz beherrschen Uerdingen, auch wenn es immer wieder Versuche gibt, dem entgegen zu wirken. Immer wieder heißt es: „Neue Ideen müssen her!“. Wenn aber diese 'Ideen' dann so sind, dass die Bezirksvertretung der „ehrenamtlichen Initiative für eine schöne Rheinstadt Uerdingen“ erlaubt, hässliche Blechstreifen an Laternen-Pfähle und Häuserwände zu schrauben, um daran Blumenampeln zu hängen, die etwa vier Monate lang das Bild verschönern, dabei aber übersehen wird, dass diese hässlichen Blechstreifen die restlichen acht Monate des Jahres Uerdingen zusätzlich verschandeln, dann ahnt man, warum Uerdingen so aussieht.

Befestigug für Blumen-Ampel auf der 'Alte Krefelder Straße'

Alte Krefelder Straße: Befestigug für eine Blumen-Ampel – man sieht gleich, da hatte jemand außer einer Idee nichts im Kopf.

Seit den 70er Jahren werden Konzepte gegen die Krise geschrieben, meist ohne umgesetzt zu werden – oder mit 78 Jahren Verspätung realisiert, wie der 2007 gebaute Tunnel am Bahnhof.

Die RP zitiert Anfang 2016 aus einem Sachstandsbericht, Uerdingen sei Krefelds bedeutendstes Stadtteilzentrum und „Das war auch 1929 so: Beim ’Zusammenlegungsvertrag’ stand Uerdingen gleichberechtigt neben Krefeld. Sichtbarer Ausdruck: Das neue Stadtgebilde hieß ’Krefeld-Uerdingen’. Doch von da an ging's bergab. Ab 1941 hieß Krefeld-Uerdingen nur noch Krefeld. Dennoch: 1971, so resümiert der Bericht, war Uerdingen ’noch das zweite Zentrum der Stadt’. 20 Jahre später war die ’Rheinstadt’, wie sie sich bis heute trotzig nennt, ’nur noch der größte und autonomste der neun Krefelder Stadtbezirke’. Die Entwicklung wird so zusammengefasst: ’Eingeschränkt in seiner Entwicklung … verlor Uerdingen an Attraktivität und Ausstrahlung.’“.

Sicher liegt das Dilemma in einer saumäßigen oder auch fehlenden Stadtplanung, es liegt aber auch daran, wie Uerdinger, Verantwortliche und Presse Uerdingen sehen und darzustellen versuchen.
Immer wieder ließt man von unserem historischen Marktplatz – gemeint ist der Parkplatz vor Rathaus, Apotheke und der (inzwischen geschlossenen) Bücherei, den Herberz-Häusern von 1832. Solange der Kaufmannsbund und andere meinen, Parkplätze in nächster Nähe seien wichtiger als eine einladende, saubere, gepflegte Umgebung …!

Mit Pomp wurde der sanierte Rheindeich gefeiert. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen man gemütlich auf den Bänken des Deiches saß, dem Fluss und den Schiffen zusehen konnte. Auf dem Reißbrett sieht der neue Deich in der Vogelperspektive sicher grafisch ansprechend aus. Dass aber die einladenden Bänke durch unansehnliche Betonklötze ersetzt wurden, Rückenlehnen an diesen fehlen, sich der Dreck um diese Klötze sammelt und vom Platznehmen und Verweilen abrät, dass die neue Mauer die Sicht auf den Rhein versperrt usw., ist natürlich keinem Verantwortlichen vorher aufgefallen.

Uerdinger Rheinufer am Steiger

Uerdinger Rheinufer am Steiger – keine Einladung an Gäste

Die Deich-Sanierung und die Instandsetzung des Steigers werden als „wichtige Impulse für weitere Entwicklungen“ gefeiert. Zum 'Steigerfest' am Samstag, dem 24.09.2016, erscheint auch Oberbürgermeister Frank Mayer. Das Fest dauert einen Tag, die letzten Überreste des Festes verschandeln noch eine Woche später Deich und Umgebung.
„Industrie, attraktiver Stadtkern, Wohnen und Freizeit verbinden sich in Uerdingen zu einer ganz besonderen Adresse unter den Städten am Rhein“, schreibt die Stadt Krefeld dazu auf ihrer Internetseite. Man möchte weinen und mit Pegida 'Lügenpresse' schreien, wenn man diese Einschätzung mit der Realität vergleicht.

Und solange „Hallo Uerdingen“ meint, das hässliche Bild dadurch übertünchen zu können, dass es Dinge schreibt wie „Die Theresienwiese in München war gestern. Heute ist das Festzelt auf dem Uerdinger Röttgen!“, solange alle sich weigern, die Realität zu sehen und ernsthaft und kompetent Gegenmaßnahmen zu ergreifen – angefangen beim nicht mehr achtlos weggeworfenen Bonbon-Papier – geht das Abwracken weiter.

Uerdingen, November 2016

 

Mit der Deichsanierung wurden 2014 auch die Treppen entfernt, die rechts und links des Rheintores, in Höhe des Casinos sowie am Steiger und an zwei, drei anderen Stellen, das Werft mit der Deichkrone verbanden. Als Anfang 2016 der Ponton des Steigers zu Sanierungszwecken aus dem Wasser musste, waren auch das bis dahin über dem Zugang hängende Uerdinger Wappen und der leuchtende Schriftzug "Uerdingen" Geschichte.

Uerdinger Steiger mit Schriftzug und Wappen

Der Uerdinger Steiger mit Schriftzug und Wappen November 2015, hinter den Bäumen die Uerdinger Burg

Früher legten hier mal – für Tagesausflügen und im Zuge von Mehrtagereisen – regelmäßig Schiffe an (u. A. Schiffe der weißen Flotte Mülheim) mit denen man z. B. einen Sonntagsausflug nach Zons unternehmen konnte. Sicher ist die enorm gestiegene Auto-Mobilität der Bürger ein Grund für die geringe Zahl an Passagieren, die hier aus- oder einstiegen, und die es für die Schiffer unrentabel machen, hier anzulegen. Ein anderer Grund ist sicher, wie es am Uerdinger Steiger aussieht. Und abgesehen vom Unrat: Das dort wuchernde Gestrüp ist im Weg, sollte irgendwer versuchen, hier ein Schiff am Ufer zu vertäuen.

Uerdinger Rheinufer am Steiger

Der Uerdinger Steiger bei Hochwasser Januar 2018

Uerdingen, Januar 2021

 

Die gestohlene Stadt

von Jürgen Matz und Sarah Rubal

Die gestohlene Stadt

Ich hatte mich bereits gefreut, als ich hörte, dass dieses Buch zur Uerdinger Geschichte erscheinen solle und es war klar: die Sache wird unterstützt. Natürlich habe ich sofort alle Besucher hier auf das Buch aufmerksam gemacht, es dann aber erst vor kurzem – im neuen Uerdinger Buchladen „Rheinschmökern“ – selbst erstanden.
Als gebürtigen Uerdinger (nicht Krefelder!) interessiert mich die Geschichte meiner Heimatstadt.

Leider war meine Freude über den Buch-Kauf schnell verflogen.

Da gab es zwar eine „Schriftstellerin“ (und „versierte Historikerin“) als Co-Autorin, und am Ende des Buches wird sich auch bei jemandem für seine "fleißige Lektoratsarbeit" bedankt, aber schon auf den allerersten Seiten fielen mir mehr als 20 Rechtschreib- und Satz- und andere Fehler ins Auge.

  • Fehlende Leerzeichen, doppelte Leerzeichen, Leerzeichen an Stellen, an denen keine sein dürften
  • Trennstriche statt Gedankenstriche (könnte ich wohl noch am ehesten verzeihen)
  • Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod!
  • Grammatik- und Tempora-Fehler
  • Frage: Wer ist nur auf die hirnverbrannte und absolut unprofessionelle Idee gekommen, ein Buch im Blocksatz zu setzen und dabei jegliche Trennung zu verbieten!? Es ist doch klar, dass es da zu riesigen Wortabständen kommen muss, zumal wenn man den Ausgleich auf die Wortabstände begrenzt, statt dann auch die Buchstabenabstände etwas zu vergrößern. Es kommt so sogar zu rechten Einzügen mitten im Absatz (das hab ich bisher noch nie gesehen!) .
    Dass so etwas das Schriftbild verunstaltet und die Freude am Lesen minimiert, sollte jedem klar sein, der sich mit Drucksachen beschäftigt.
    Insgesamt ist der Satz eine Zumutung. Wenigstens hat netterweise jemand dafür gesorgt, dass Schusterjungen und Hurenkinder (weitere typographische Fehler) vermieden wurden.

    All das sollte nicht sein, vor allem dann nicht, wenn man den Text anderen verkaufen will. Aber auch inhaltlich stören mich etliche Dinge, über die ich beim Lesen stolpere.
    Um nur ein paar zu nennen:

    Sätze wie: „Dass der wohlverdiente Politiker … an einem unbehandelten Blinddarm starb, hatte nicht nur in den Reihen der SPD für Empörung gesorgt.“ und andere Sätze lassen den Schluss zu, dass keiner der Autoren den Text nach Niederschrift irgendwann noch einmal gelesen hat.

    „… mit einem Schachbrettmuster ausgelegt“, heißt es ziemlich zu Beginn. Haben Sie schon einmal etwas mit einem Muster oder einer Farbe ausgelegt? Das geht nicht!!! Sie können auslegen mit etwas, das ein Muster oder eine Farbe hat, aber nicht mit Mustern oder Farben selbst.

    Dass der noch verhältnismäßig junge Uerdinger Bürgermeister auf dem Weg von der Augustastraße 14 zum Marktplatz eine Verschnaufpause einlegen musste, kann ich einfach nicht glauben und frage mich, wie es sein kann, dass so etwas geschrieben wird. Das hat doch kein Ortsunkundiger verfasst. Das sind ca. 450 m! Das schaff ich immer noch, ohne verschnaufen zu müssen. Und einfach mal zwischendurch stehenzubleiben, ist doch etwas vollkommen anderes als 'verschnaufen'.

    Die Worte „angehängt“ und „Daten“ in einer wörtlichen Rede um 1930 – das geht gar nicht. Damals hätte man gesagt „beigefügt“, „beigelegt“ oder von einer „Anlage“ gesprochen. Und statt „Daten“ wäre hier „Fakten“, „Zahlen“ o. Ä. richtig gewesen.

    Und wie kann man etwas, das so heftig ist, dass es jemanden nicht einmal beim Gottesdienst (wieso am Freitag?) gedanklich loslässt, eine „flaue Regung“ nennen?

    Und wenn man liest, dass die Uerdinger jede Menge Schilder „wie an einer Perlenkette aneinandergereiht“ hochhielten und dann nur sieben Zeilen später zu lesen ist, der Bürgermeister habe diese Schilder alle 50 Meter aufstellen lassen, kommen einem Zweifel, die auch ein Roman nicht aufkommen lassen sollte.

    30 Jahre sollte – wenn ich das richtig sehe – die Übergangszeit (ich weiß immer noch nicht, wohin der Übergang führen sollte) dauern. Am Ende des 2. Kapitels sind es plötzlich nur 20 Jahre! Wieso?
    Und was ist ein „jüdischer Gemischtladenwaren“, der angeblich verwüstet wurde.

    Worte, Begriffe oder ganze Sätze in Uerdinger-Platt sollten übersetzt werden, damit sie auch von denen verstanden werden, die diesen Dialekt nicht verstehen.

    Und wenn ich jetzt, nach einem Viertel des Buches, noch einmal das Vorwort lese, frage ich mich, wo denn die „enorme geschichtliche Brisanz des durch Quellen belegten Sachverhaltes“ sich in den Texten widerspiegelt!?

    Es wird (Seite 81) vom Kalli, dem Sohn des Schusters am Marktplatz, berichtet, der den Bürgermeister mit Nazi-Sprüchen begrüßt. Inwieweit der Sohn des Schusters am Uerdinger Marktplatz Nazi war oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Roman hin oder her, wenn man Personen konkret benennt, sollte man korrekt sein:
    Der Schuster, der zu dieser Zeit Werkstatt und Wohnung direkt am Marktplatz, in der Niederstraße 3 hatte, war Paul Fuhrmann, Sohn des Schuhmacher-Meisters Johann Michael Fuhrmann und der Luise Mechtildis Müllers. Mit seiner Ehefrau Helene Herbertz hatte er 4 Kinder: Luise, Johannes, Christine und Elisabeth. Einen Kalli gab es nicht.

    Am Ende (Seite 212 unten) wird angemerkt, dass es immer noch keine nach Herrn Warsch benannte Straße gibt. Wie sollte die denn heißen? Haben Sie schon einmal „Warsch-Straße“ ausgesprochen? Oder wie wäre es mit „Warsch weg!“, oh, sorry "Warsch-Weg"? Ich kann verzichten. Für was sollte so ein Straßenname gut sein? Erinnerungskultur? Die meisten Uerdinger interessiert doch nicht einmal, woher das ehrwürdige Fabritianum seinen Namen hat.

    Sie finden die eine oder andere Anmerkung kleinlich? All die Rechtschreib-, Gramatik- und typografischen Fehler stören meinen Lesefluss erheblich! Sachbücher sind die eine Sache, wenn ich aber doch einen Roman lese, möchte ich das mit Freude tun und nicht alle paar Momente denken:

    „Oh mein Gott, reicht mir – bitte! bitte! – einen Lektor!“.

     

    Und dann geht das auf der Webseite zum Buch weiter. Warum werden dort eine Menge alter Fotos gezeigt – ohne dass auch die notwendigen, zugehörige Information verfügbar gemacht werden. Gut, Adenauer werden die meisten (zumindest die Älteren) noch erkennen. Aber wer sind die Personen auf den anderen Portait-Fotos? Was für Ereignisse sind auf anderen Aufnahmen abgebildet?
    Und was kann der Sämann im Wallgarten für das alles?

     

    Uerdingen eine gestohlene Stadt? Vielleicht – für mich aber ganz sicher: Der Kauf des Buch "Die gestohlene Stadt" ist verschenktes Geld und das Lesen desselben gestohlene Zeit.

    Uerdingen, März 2021